CHRISTIAN WAHNSCHAFFE entstand 1920-21 unter der Regie von Urban Gad nach Motiven des 1919 erschienen gleichnamigen Romans von Jakob Wassermann. Die Terra-Film A.G. produzierte den zweiteiligen Monumentalfilm mit Staraufgebot. Neben Conrad Veidt in der Titelrolle sind im ersten Teil, WELTBRAND, Fritz Kortner und die norwegische Tänzerin und Schauspielerin Lillebil Christensen und im zweiten Teil, DIE FLUCHT AUS DEM GOLDENEN KERKER, Werner Krauß und Esther Hagan in Hauptrollen zu sehen.
Der dänische Regisseur Urban Gad realisierte zwischen 1910 und 1922 knapp 60 Filmwerke. Bekannt ist Gad heute vor allem für sein Werk aus der ersten Hälfte der 1910er Jahre, das ganz auf den Star Asta Nielsen zugeschnitten war. Auch nach seiner beruflichen und privaten Trennung von Nielsen 1915, verfolgte Gad seine Vision, das neue Medium Film zur Kunst empor zu heben. Die Wiederentdeckung von CHRISTIAN WAHNSCHAFFE ermöglicht Einblick in Gads weitestgehend verschollenes Spätwerk.
Obwohl Anfang der 1920er Jahre von der Kritik als ambitionierter Kunstfilm diskutiert, ist CHRISTIAN WAHNSCHAFFE heute ein vergessenes Werk und lag in keiner vorführbaren Form mehr vor. 2017/18 wurde er von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung hochauflösend digitalisiert und rekonstruiert.
Digitalisierung und Bildrestaurierung wurden bei L`Immagine Ritrovata in Bologna durchgeführt. Das Projekt wurde ermöglicht durch die Unterstützung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und den Förderverein „Freunde und Förderer des deutschen Filmerbes e.V.“. Beide Teile werden im Rahmen der Retrospektive „Weimarer Kino – neu gesehen“ der Berlinale uraufgeführt.
Zu den Filmen
Urban Gad und seine Drehbuchautoren adaptierten Wassermanns zweiteiligen Roman nicht als zwei voneinander abhängige Episoden. Vielmehr sind beide Filme jeweils eigene Interpretationen des Romans durch zwei Drehbuchteams und zwei Kameramänner: Für WELTBRAND schrieben Paul Georg und Robert Michael das Drehbuch und übernahm Max Lutze die Kamera. DIE FLUCHT AUS DEM GOLDENEN KERKER wurde von Bobby E. Lüthge und Hans Behrendt geschrieben und von Willy Hameister fotografiert.
CHRISTIAN WAHNSCHAFFE: WELTBRAND
Hintergrund ist der Ausbruch der ersten russischen Revolution 1905. Erzählt wird die schicksalhafte Liebe zwischen dem reichen Fabrikantensohn Christian Wahnschaffe (Conrad Veidt) und der Tänzerin Eva Sorel (Lillebil Christensen), die Mitglied der russischen Nihilisten ist. Durch Eva trifft Christian auf den Nihilisten-Führer Iwan Becker (Fritz Kortner) und wird in die Vorbereitungen eines Aufstands verwickelt.
Gad setzt auf den Kontrast gesellschaftlicher Ungleichheiten. Er stellt die Verstrickung Eva Sorels in Liebe, politischen Aufstand und persönlichen Ehrgeiz als Scheitern der Revolution dar.
Die zeitgenössische Kritik sah in WELTBRAND Ansätze der Weiterentwicklung eines filmischen Expressionismus. Der Kontrast des Spiels von Veidt und Kortner entfachte Diskussionen über den geeigneten Darstellungsstil für das Medium Film.
CHRISTIAN WAHNSCHAFFE: DIE FLUCHT AUS DEM GOLDENEN KERKER
Seines luxuriösen Lebens überdrüssig, begibt sich Christian Wahnschaffe (Conrad Veidt) ins Armenviertel. In einem Wirtshaus begegnet er der kranken Dirne Karen (Esther Hagan) und ihrem zuhälterischen Bruder (Werner Krauß). Karen weckt seinen Beschützerinstinkt und er nimmt sich ihrer an. In ihrer Unterkunft trifft er auf Ruth (Rose Müller), deren selbstlose Unterstützung der Elenden er bewundert. Sie inspiriert ihn dazu, sich seines Reichtums zu entledigen und als Armer unter Armen zu leben.
Im zweiten Teil stellt Urban Gad soziale Ungleichheit als Kluft zwischen Güte und Gier dar. Der Film lebt von den Gegenpolen Veidt als nach Erlösung suchender und Krauß als unmenschlicher Bestie.
Zur Rekonstruktion
CHRISTIAN WAHNSCHAFFE: WELTBRAND
Grundlage waren eine gefärbte Verleihkopie mit deutschen Zwischentiteln aus Privatbesitz, die sich in starker chemischer Zersetzung befindet und das schwarz-weiß Duplikat einer Exportkopie aus dem Bundesarchiv-Filmarchiv. Beide weisen unterschiedliche Kürzungen auf. Sie wurden in 2K-Auflösung digitalisiert und zu einer weitgehend vollständigen Fassung kombiniert.
Der erste Akt fehlt in beiden Quellen. Sein Inhalt wurde anhand von Zulassungskarte und zeitgenössischen Kritiken nachvollzogen und ist als Text wiedergegeben.
Soweit vorhanden, wurden die Zwischentitel der gefärbten Kopie verwendet. Fehlende Titel wurden anhand der Zulassungskarte ergänzt und mit dem Kürzel FWMS gekennzeichnet.
Für Teile aus der schwarz-weißen Quelle wurden Viragen im Stil der gefärbten Kopie verwendet.
CHRISTIAN WAHNSCHAFFE: DIE FLUCHT AUS DEM GOLDENEN KERKER
Grundlage war eine gefärbte Verleihkopie mit niederländischen Zwischentiteln aus dem Bundesarchiv-Filmarchiv. Die Kopie wurde in 2K-Auflösung digitalisiert.
Da keine Zulassungskarte mit Zwischentitelliste erhalten ist, wurden die Titel auf Deutsch übersetzt.
Teile von zwei Szenen, die in der deutschen Fassung zensiert wurden, fehlen auch in der niederländischen Kopie. Von einer der betroffenen Szenen sind die geschnittenen Zwischentitel im Zensurprotokoll der Film-Prüfstelle Berlin aufgeführt. Sie wurden ergänzt und mit dem Kürzel FWMS gekennzeichnet.